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03. Jun. 2016

Meine Meinung – Die Privatkopie

Tatort

Schwäbisch Gmünd, 16. September 2003. In meinem Wohnzimmer läuft eine CD mit einer Aufnahme von Brahms’ 1. Sinfonie. Ich surfe auf den Klängen, folge den verwundenen Melodieverläufen, bis plötzlich ein von Brahms nicht eingeplantes Sechzehntel-Dauer-Stakkato, für dessen Sauberkeit ansonsten das Orchester einen Preis verdient hätte, den Genuss abwürgt. Ein Blick auf die CD: in der Verspiegelung ist ein Loch, die die Spurnachführung des Lesekopfs springen lässt.

Die Lösung war in diesem Fall einfach: mit dem guten CD-Laufwerk in meinem Rechner ließ sich die CD noch einwandfrei auslesen und eine fehlerfreie Version brennen, die jetzt an Stelle des Originals in meinem Regal steht. Es handelt sich hierbei um eine Gebrauchs- oder Sicherheitskopie, oder um einen Grenzfall von beidem – jedenfalls um eine Kopie zur rein privaten Nutzung, und damit um eine vollkommen legale.

Noch. Wenn es nämlich nach der Musikindustrie ginge, stünde ich jetzt mit einem Bein im Gefängnis. Zwar habe ich ein Gebrauchsrecht an der CD erworben, aber jede Art digitaler Kopie soll jetzt verboten werden. Auch private Kopien. Auch solche für die rein persönliche Nutzung, die meinen Haushalt überhaupt nicht verlassen.

Eine Seite: Die Privatkopie schmälert den Umsatz

Richtig ist, dass in letzter Zeit ungeheure Anzahlen von CD-Rohlingen verkauft werden. Die Musikindustrie rechnet nun die Zahl der verkauften Musik-CDs gegen die Zahl der verkauften Rohlinge auf und kommt zu dem Schluss, dass mehr Musik gebrannt als verkauft wird.

Sehen wir einmal davon ab, dass es Leute geben soll, die CD-Rohlinge überhaupt nicht für Musik, sondern für Daten verwenden, dann erscheint diese Argumentation glaubwürdig. Allerdings verliert diese Glaubwürdigkeit an Substanz, wenn man tiefer nachdenkt. Denn obwohl zahlenmäßig weniger CDs verkauft werden, ist es ja offensichtlich noch nicht so, dass die Musikindustrie am Bettelstab geht. Oder die Künstler.

Bemerkenswert war Anfang 2003 die Aktion von Robbie Williams, der öffentlich verkündete, er habe nun genug an seiner CD verdient, ab sofort dürfe sie sich jeder frei kopieren oder herunterladen. Er bezeichnete die Möglichkeit dazu sogar als großartig. Darf er das? Natürlich darf er das, seine Musik ist sein geistiges Eigentum. Aber sieh mal einer guck: Offensichtlich geht es also gar nicht darum, die Einkommen der armen, armen Künstler zu sichern, deren Werke die hehre Industrie gegen die bösen, bösen Kopierer verteidigen muss.

Andere Seite: Die Privatkopie verbreitet Musik

Wenn ich einem Freund eine gebrannte CD schenke, ist das bislang nicht nur erlaubt, sondern auch noch kostenlose Werbung für die Musik dieser CD. Zwar hat die Musikindustrie von diesem Brennvorgang keinen Umsatz, aber der Künstler wird bekannt – und mein Freund wird sich womöglich die nächsten CDs dieses Künstlers kaufen. Und seine Konzerte besuchen. Und anderen von ihm vorschwärmen. All das nützt dem Künstler und fördert seine Musik!

Wer dieses Argument belächelt, sollte bedenken, dass in den 80ern viele Künstler erwiesenermaßen vor allem dadurch bekannt wurden, dass ihre Musik weitergegeben wurde – damals noch auf Cassetten, nicht auf CDs. Und das kurbelte indirekt den Umsatz mit Kauf-Cassetten, LPs und seit Mitte der 80er auch CDs eher an, als ihn zu schmälern.

Gut, damals war die Qualität der privat kopierten Cassette deutlich schlechter als die der gekauften oder gar der CD. Aber wer verbietet denn der Musikindustrie, heute einen ähnlichen nicht-kopierbaren Mehrwert ihrer CDs anzubieten, etwa in Form attraktiver und informativer Booklets?

„Die ich rief, die Geister, ...“

Was „darf“ eine CD kosten?

In den 80er Jahren kostete eine normale LP, zehn bis zwölf Titel, 40 Minuten Spielzeit, um zwanzig Mark, und der Industrie sowie den Künstlern schien es damit ganz gut zu gehen.

Dann kam die CD. Der Preis für eine aktuelle CD ruschte nie wirklich unter 30 Mark, obwohl Produktion und Vertrieb von CDs nicht signifikant teurer ist als von LPs. Doch der Kunde zahlte den höheren Preis, da er einen höheren Nutzen bekam: die Tonqualität war überragend, das Abspielen komfortabel, und der Träger war unempfindlich gegen Verschmutzungen und wesentlich besser transportierbar als die sperrige LP.

Damit begannen die Riesenumsätze der Musikindustrie.

Seit ein paar Jahren ist es nun für jedermann möglich, von einer Musik-CD 1:1-Kopien herzustellen, zu vergleichsweise lächerlichen Kosten. Der hohe Preis für gepresste CDs, jahrelanger Geldregen für die Musikindustrie, beginnt den Käufer zu schmerzen, denn abgesehen vom gedruckten Booklet steht die gebrannte CD der gekauften in nichts nach.

Legal – illegal – sch...?

Die Frage, ob die Brennerei von Musik legal ist, ist erschöpfend diskutiert worden. §53 des Urheberrechtsgesetzes besagt:

(1) Zulässig sind einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet wird. Der zur Vervielfältigung Befugte darf die Vervielfältigungsstücke auch durch einen anderen herstellen lassen, sofern dies unentgeltlich geschieht [...]

Das Gesetz erlaubt und schützt die Kopie zum privaten Gebrauch also ausdrücklich! Das ist gut so und soll auch so bleiben.

Legal ist es auf jeden Fall, wenn ich mir fürs Auto eine CD mit meiner Wunschmusik zusammenstelle und brenne. Legal ist es auch, wenn ich einen Bekannten bitte, mir von einer CD, deren Original oder legale Kopie er besitzt, mir eine private Kopie anzufertigen. Legal ist umgekehrt auch das Kopieren zum Verschenken im persönlichen Bekanntenkreis, solange es in einem vernünftigen Rahmen bleibt (die Zahl Sieben wurde einmal als Richtschnur festgelegt). Legal ist natürlich auch (noch) die Sicherheitskopie, die ich mir von wertvollen CDs mache, da CDs schon durch einen kleinen Kratzer auf der Druckseite unabspielbar werden können.

Illegal ist es auf jeden Fall, von einer gekauften CD -zig Kopien zu brennen und zehn Euro unter Ladenpreis zu verkaufen. Wer so etwas macht, bereichert sich an fremdem Gut und hat den Rahmen des Erlaubten weit überschritten. Und diese Art von Kopien ist es, die den Künstler bestiehlt. Deshalb ist sie mit gutem Recht verboten, und ich möchte die illegale Kopie hier in keiner Weise beschönigen oder gar verteidigen.

Wie viel wird kopiert?

Subtrahiert man von der Anzahl gekaufter Rohlinge etwa ein Drittel, das für Daten oder von Musikern für eigene Musik genutzt werden dürfte, dann bedeuten die vorgelegten Zahlen, dass statistisch noch nicht einmal von jeder verkauften CD eine Kopie gezogen wurde. Das ist deutlich weniger, als an privaten Kopien heute legal ist, stellt somit juristisch keine Gefährdung des Produkts dar und muss in den Verkaufspreisen einkalkuliert sein.

Milchmädchen lassen grüßen

Die Musikindustrie hofft, dass bei einer geringeren Anzahl privat gebrannter Kopien wieder mehr Originale verkauft werden. Sie rechnet, dass jede private Kopie weniger einer verkauften CD mehr entspricht. Das wage ich allerdings zu bezweifeln, denn nicht jeder, der sich jetzt Kopien legal privat besorgt, würde auch zum zehnfachen Preis das Original kaufen. Von der musikalischen Qualität heutiger Produktionen ganz zu schweigen: CDs sind einfach grenzwertig teuer.

Alles verbieten!

Derlei Bedenken sind der Musikindustrie fremd. Sie möchte – Meldung vom 16. September 2003 – Privatleuten jede Art der digitalen 1:1-Kopie verbieten lassen:

Veröffentlicht: 16.09.2003, 11:06

Musikindustrie fordert Abschaffung der Privatkopie

Exklusives Senderecht in Anlehnung an die Filmindustrie gefordert

Im Rahmen eines erstes Symposions zur Novellierung des Urheberrechtsgesetzes vom Bundesjustizministerium und dem Institut für Urheber- und Medienrecht fordern die deutschen Phonoverbände die Abschaffung der Privatkopie. Die Musikindustrie drängt auf eine weitere Novellierung des Urheberrechtsgesetzes mit drastischen Einschränkungen von Privatkopien [...].

"Das massenhafte Musikkopieren ist eine existenzielle Bedrohung für den Musikmarkt. Im Rahmen der Diskussion um die weitere Änderung des Urheberrechtsgesetzes fordern wir deshalb u.a. die Rückführung der Privatkopie in ein Exklusivrecht", erklärt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände. "Heute, wo Musik immer und überall uneingeschränkt zur Verfügung steht, brauchen wir Rahmenbedingungen, die die Funktionsfähigkeit der Musikmärkte national und international garantieren. Künstler und Verwerter haben Anspruch auf gerechte Vergütungen ihrer Leistungen - das ist zurzeit nicht gegeben und muss verbessert werden."

Ein entsprechendes Positionspapier mit den vollständigen detaillierten Vorstellungen hat man bereits dem Bundesjustizministerium übergeben. Darin fordern die Phonoverbände eine Rückführung der digitalen Privatkopie in ein Exklusivrecht. "Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland mehr Musik kopiert als gekauft wird, muss die Entscheidung über Kopiermöglichkeiten in die Befugnis der Rechteinhaber zurückgeführt werden", so der Bundesverband der Phonoverbände (IFPI). Analoge Kopien seien zur Befriedigung privater Bedürfnisse ausreichend. [...] Lediglich für den wissenschaftlichen Gebrauch und für öffentliche Archive sollen nach Ansicht der Musikindustrie digitale Kopie auch künftig zulässig sein.

[...]

"Wir erwarten eine offene und vorbehaltlose Diskussion ohne Scheuklappen. Wenn wir jetzt nicht die Chance ergreifen, ausgetretene Pfade zu verlassen, werden wir den Anforderungen an das Urheberrecht im 21. Jahrhundert nicht mehr gerecht. Wir brauchen den wirksamen Schutz geistiger Leistungen, denn sie sind unser Kapital für die Zukunft unserer Gesellschaft", so Gebhardt. (ji)

Quelle: http://www.golem.de/0309/27474.html

Kriminalisierung

Der gute Mann hat im letzten Absatz ja grundsätzlich recht, aber der Pferdefuß ist dabei die ständige Vermischung von wirklicher Kriminalität mit Banalität, das Über-einen-Kamm-Scheren von illegalen Raubkopierern, die massenhaft gebrannte CDs verschleudern, und privaten Nutzern, die sich eine Gebrauchskopie machen möchten. Letzteres stellt eine legale Nutzung der CD dar, und für dieses Nutzungsrecht ist ja bezahlt worden. Inwiefern das der Musikindustrie schadet, vermag ich nicht zu begreifen.

Was die Industrie nicht sieht oder nicht sehen will: Der Gebrauchswert einer CD wird mit solchen Maßnahmen stark eingeschränkt. Alle oben umrissenen Spielarten der persönlichen Kopie, die eine völlig legale Nutzung der gekauften CD darstellen, sind damit verboten. Ich darf mit der CD nichts anderes mehr machen, als sie aus dem Regal zu nehmen und zu hören.

Wieso ich dafür noch einen so hohen Preis zahlen soll, ist mir vor allem deshalb unverständlich, weil die Privatkopie der Musik nicht nur schadet, sondern ebenso nützt, weil sie die Verbreitung fördert.

Am liebsten wäre es der Industrie natürlich, wenn man für jedes Abspielen einer CD extra zahlen müsste. Analog dazu müssten die Fotografen fordern, dass man für jedes Ansehen eines ihrer Bilder zahlen muss.

Absahnen um jeden Preis

Spätestens hier wird deutlich: Es geht nicht darum, dass einem Künstler durch das Kopieren etwas weggenommen wird, denn das private Kopieren war immer erlaubt. Es wird ihn nicht an den Bettelstab bringen, wenn neben zwei Millionen verkaufter CDs noch fünfhunderttausend legale Kopien existieren. Es geht nicht darum, jemandes Rechte zu wahren (sonst würde man ja auch auf die Rechte der Privatleute Rücksicht nehmen), sondern es geht darum, die fetten Gewinne der letzten Jahre nicht abmagern zu lassen.

Zu diesem Zweck wird eine bislang erlaubte normale Nutzung plötzlich verboten. Ebenso könnte die Autoindustrie verbieten lassen, Autos zu verleihen – sollen die Autolosen sich doch gefälligst Neuwagen kaufen! Kein Wunder, dass es der Autoindustrie so schlecht geht! Jedes verliehene Auto ist ein verkauftes weniger! Kriminell, das! Absurde Argumentation. Aber genau so argumentiert die Musikindustrie, wenn sie private Kopien als Verbrechen brandmarkt.

„Kopierschutz“

Kaputte CDs im Laden

CDDADie meisten aktuellen CDs werden mittlerweile „kopiergeschützt“ angeboten. Dieser Kopierschutz ist im Grunde eine künstliche Beschädigung der CD. Der Datenstrom wird dabei absichtlich so weit gestört, dass die Fehlerkorrektur eines CD-Players ihn gerade noch wiederherstellen kann, aber ein CD-ROM-Laufwerk die CD als unlesbar zurückweist. Die CD entspricht damit nicht mehr dem Red-Book-Standard, in dem festgelegt ist, wie Audio-CDs technisch aufgebaut sind, und darf kein CDDA-Logo mehr tragen.

Das funktioniert, wenn man mal davon absieht, dass die künstlich kaputten CDs oder „Un-CDs“, wie man sie auch nennt, in vielen Autoradio-CD-Playern nicht mehr abspielbar sind.

... und die Folgen

Es wirft aber auch Fragen auf: Was ist, wenn die CD tatsächlich in den nächsten Jahren noch Kratzer bekommt, für die die Fehlerkorrektur einklich gebaut wurde? Es ist zu befürchten, dass sie dann überhaupt nicht mehr abspielbar ist, wenn künstliche und natürliche Fehler sich aufsummieren. Soll ich zwanzig Euro für eine CD bezahlen, die in einem Jahr nicht mehr zu gebrauchen ist, weil sie schon beim Kauf kaputt war?

Die nächste Frage betrifft den Gebrauchswert: Von einer solchen CD kann ich keine Kompilation machen (eigene Zusammenstellung), keine Zweitanfertigung fürs Auto (wo das Original sowieso nicht läuft), keine Sicherheitskopie, falls sie mal beschädigt wird. Es ist technisch nicht mehr möglich, oder nur umständlich über analogen Umweg, und soll demnächst sogar kriminell sein. Wieso soll ich für eine derart eingeschränkte Brauchbarkeit den selben Preis zahlen wie für eine einwandfreie CD?

Lächerlicherweise ist der Nutzwert einer gebrannten CD dadurch höher als der des gekauften Originals, denn die einmal gebrannte CD, die dem Red-Book-Standard entspricht, lässt sich ohne Einschränkungen digital weiterverarbeiten! Ob das der richtige Weg ist, um dem Problem des illegalen Brennens zu begegnen?

Konsequenzen

Ich für mein Teil respektiere gute Künstler, die mit hohem Aufwand gute Musik machen, und honoriere das, indem ich Tonträger selbst dann kaufe, wenn ich sie legal privat gebrannt bekommen könnte.

Es ist völlig klar, dass gegen wirklich großangelegtes illegales Kopieren von Musik vorgegangen werden muss. Wäre ich professioneller Musiker, es täte mir auch weh, wenn meine Produkte dutzend- und schockweise verschleudert würden, ohne dass ich einen Cent daran verdiene. In diesem Fall kann aber auch niemand mehr von „Privatkopie“ sprechen.

Doch die Kriminalisierung des normalen Nutzers, der wirklich rein private Kopien anfertigt, ist meiner Meinung nach der falsche Weg dahin. Professionelle Raubkopierer werden sich davon nämlich nicht aufhalten lassen, da sich an ihrer rechtlichen Situation nichts ändert – jetzt illegal, dann illegal. Der einzige Effekt wird darin bestehen, dass die Kunden sich verarscht fühlen und noch weniger bereit sind, die hohen Preise zu bezahlen, die die Musikindustrie für CDs verlangt.

Es trifft schlicht und einfach die Falschen. Die daraus folgenden Umsatzeinbußen, die ja schon beobachtet werden, wird die Musikindustrie dann allerdings nicht auf den verständlichen Unmut ihrer Kunden zurückführen, sondern darauf, dass die Maßnahmen immer noch nicht hart genug sind – die Fortsetzung kann man sich ausmalen.

Kaputte Neuware – nein danke!

Was mich angeht, so werde ich keine „kopiergeschützte“, d.h. kaputte, CD kaufen. Schade deshalb, weil ich dadurch schon einige gute Platten verpasst habe, aber ich sehe einfach nicht ein, wieso ich für eine deutlich verringerte Nutzbreite und eine deutlich verringerte Nutzungsdauer den selben Preis zahlen soll wie für ein voll nutzbares Produkt.

Letztendlich sind wir als Kunden der Musikindustrie diejenigen, die entscheiden. Solange wir die überteuerten CDs kaufen, wird der Zirkus weitergehen.

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