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Radio hören

China versus Japan

Fakt eins: Gegen den japanischen Elektronikriesen Sony kann man sagen, was man will – Radios bauen können sie! Fakt zwei: die Produkte der chinesischen Radio-Schmiede Degen sind auch nicht von schlechten Eltern und stecken vor allem voller Ideen.

Ich weiß das, ich besitze einen Sony ICF-7600D und einen Degen DE-1102 (auf dem nur deshalb Scott RXP80 draufsteht, weil er dann nur die Hälfte kostet). Und jetzt sitze ich zwischen beiden und soll mich für einen entscheiden ...

Der Sony stammt entwicklungstechnisch aus dem Jahr 1983. Das merkt man auch. Die Bedienung entspricht nicht wirklich dem, was man heute gewohnt ist. Es gibt keine Einstellungen per Software. Selbst das Uhrzeitformat wird mit einem kleinen, hinter der eingeklappten Antenne versteckten Schiebeschalter zwischen 12- und 24-Stunden-Anzeige umgeschaltet. Ein ähnlicher Schalter für die Mittelwellen-Schrittweite (9/10 kHz) sitzt im Batteriefach. Die Taste zum Uhrstellen sitzt auch an der Rückseite, der SET-Knopf neben der Uhrzeitanzeige verstellt die Weckzeit. Aber sonst sind alle Schalter dort, wo man sie sucht.

Diese „diskrete“ Bedienung hat andererseits den Vorteil, daß alle Funktionen jederzeit schnell erreichbar sind. Wenn ich beim Kurzwellen-Surfen mit dem Sony auf eine SSB-Station stoße, muß ich nur den Schalter AM MODE auf SSB stellen. Beim Degen kann ich zwar die SSB-Taste drücken, die auch für die Dauer des Tastendrucks auf SSB umschaltet – aber damit diese Einstellung „einrastet“, muß ich erst auf Page 9 wechseln, sofern ich dort nicht bin (diese Pages sind eigentlich Speicherbänke, bestimmen aber auch die Betriebsart), weil die Kurzwelle nur dort mit SSB funktionieren soll. Vor allem aber wechselt die Frequenz dann erstmal auf diejenige, die ich zuletzt auf Page 9 gehört habe, und ich muß die richtige erneut eingeben. Nicht wirklich praktisch.

Der Sony verfügt über keinerlei Beleuchtung. Kein bißchen. Außerhalb beleuchteter Räume ist das Gerät nachts kaum zu gebrauchen. Schade. Hier glänzt der Degen mit einer blauen Hinterleuchtung sämtlicher Anzeigen und Knöpfe. Allerdings wird das große LCD dadurch unlesbar, sofern man das Gerät schräg von oben betrachtet! Nur bei Betrachtung von unten ist der Kontrast wirklich gut. Mit anderen Worten: das Gerät ist mit Beleuchtung nur liegend sinnvoll zu betreiben. Dafür allerdings hat er einen Aufsteller an der Rückwand, den man beim Sony vermißt.

Der Degen ist in jeder Hinsicht kompromißlos rucksackwandertauglich: er ist kleiner als eine Postkarte und wiegt gerade mal 360 Gramm. Inklusive Batterien. Geladener. Das macht nicht wirklich viel aus, und es ist schon nett, morgens im Zelt einen Wetterbericht zu hören. Der Sony bringt das Doppelte auf die Waage und ist deutlich klobiger.

In dem kleinen Gehäuse des Degen hat natürlich kein großer Lautsprecher Platz. Und das ist schade, wirklich schade, denn was der Kleine beim besten Willen nicht kann, ist Klang. Da hilft auch die schaltbare FM-Bass-Anhebung nichts. Für anhörbaren UKW-Empfang selbst am Schreibtisch muß die Lautstärke fast auf Maximum stehen, um einen Lautheits-Eindruck zu erzielen, den der Sony locker im unteren Drittel schafft. Und der Sony klingt. Er klingt richtig gut. Auch klassische Musik ist damit wirklich nicht nur anhör-, sondern auch genießbar. Klanglich liegen zwischen den beiden Geräten so viele Welten, daß ich mir überall da, wo es auf Gewicht nicht ankommt, den Degen nicht zumuten möchte.

Aber der Kleine gleicht das aus mit pfiffigen Ideen, die gerade auf Tour sehr praktisch sind: Er kann, wenn er am Netzteil hängt, eingesetzte Akkus laden. Allerdings nur zeitgesteuert, und der Hersteller verrät uns in der Anleitung auch nichts über empfohlene Ladezeiten für bestimmte Akku-Kapazitäten. Dennoch ist es nicht unpraktisch, die Akkus im ausgeschalteten Gerät mal automatisch vier Stunden lang laden zu können. Wer ihnen etwas Gutes tun möchte, lädt sie dennoch möglichst oft in einem richtigen gesteuerten Ladegerät.

Womit wir beim nächsten Degen-Vorteil sind: Nimmt man die Batterien heraus, vergißt er nur die Uhrzeit. Alle gespeicherten Sender, Weckzeiten undsoweiter bleiben erhalten. Der Batteriefachdeckel des Degen ist übrigens am Gehäuse anscharniert und damit unverlierbar: großer Pluspunkt! Beim Sony sind die Batterien in Uhr/Steuerung (2 Mignon) und Radio (4 Mignon) getrennt. Wenn man die Uhrbatterien herausnimmt, puffern die Radiobatterien das ab (gute Idee), aber man darf niemals alle Batterien gleichzeitig herausnehmen – oder darf anschließend alles neu einstellen.

Was beim Sony allerdings nicht viel Arbeit ist: es gibt nur zehn Speicherplätze und eine Weckzeit. Der Degen glänzt mit 19 Speicherplätzen auf jeder der zehn Speicherbänke (Pages) – wobei diese Pages, wie gesagt, auch die Betriebsart bestimmen. Beispiel: KW hat normalerweise 5 kHz Abstimmweite, auf Page 9 wechselt das auf 1 kHz. Überaus praktisch ist auch die Auto-Scan-Funktion des Degen. Schaltet man in Page 0 den automatischen Suchlauf ein, legt er jeden gefundenen Sender auf einem neuen Speicherplatz ab, bis alle 19 voll sind. Davon können einzelne gelöscht werden, worauf die höheren nachrücken und oben wieder Platz frei wird. So wird die Bank schnell mit den jeweils empfangbaren Sendern gefüllt und kann anschließend auf eine der anderen Pages kopiert werden. Das ist wirklich eine gute Idee.

Auch in puncto Weckzeiten wird man vom Degen verwöhnt. Drei Weckzeiten sind programmierbar, zu jeder einzelnen davon lassen sich neben der gewünschten Frequenz auch die Lautstärke(!) und die Spieldauer einstellen.

Hört man die üblichen starken Sender, unterscheiden sich die Empfangsleistungen der beiden Geräte nicht wesentlich. Das gilt für alle Wellenbereiche (der Degen hat allerdings keine Langwelle). Wobei der wesentlich angenehmere Klang des Sony auch der Verständlichkeit von Sprache zugute kommt. Schwache Stationen auf Kurzwelle werden vom Sony merklich besser aus dem Äther geschält; der Degen hört sie auch, aber der Empfang ist stärker von Störungen überlagert und die Verständlichkeit grenzwertig. Der Sony ist zwar nur auf 5 kHz genau abstimmbar (Degen: 1 kHz auf Page 9, sonst auch 5 kHz), läßt sich aber per Feinabstimmung auch auf Zwischenwerte einstellen, die allerdings nicht angezeigt werden.

Auf UKW war ich angenehm überrascht darüber, daß beide Geräte in Schwäbisch Gmünd alle fünf „starken“ Frequenzen von der 120 km entfernten Hornisgrinde fast vollkommen klar hereinbekommen. Das bringt mir den Deutschlandfunk auf 106,3 MHz *freu*.

Fazit: Den Degen werde ich mir gern in den Rucksack packen, um auf Wanderungen unterwegs oder abends im Zelt Radio zu hören. Dafür wäre mir der Sony zu schwer. Aber das Hören an sich macht mit dem Sony unvergleichlich viel mehr Spaß. Zu Hause finde ich kaum einen Grund, den Degen einzuschalten.