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Meine Meinung

Amok laufende Schüler

Erfurt, 26. April 2002

Ein Schüler, der zum Abitur nicht zugelassen und der Schule verwiesen worden war, tötet in der Schule 16 Menschen, bevor er sich selbst erschießt. Nach einem solchen Blutbad äußern alle brav ihre Betroffenheit (die sicher ehrlich ist) und sagen, so etwas dürfe nicht vorkommen.

Es wäre Unsinn (und ist auch nicht mein Anliegen), jetzt Schuldige zu suchen. Ich möchte hier auch nicht diesen Einzelfall analysieren, sondern mich bringt das vielmehr auf ganz allgemeine Überlegungen. Littleton, Bad Reichenhall, Erfurt – es ist ja eben kein Einzelfall. Wir müssen mit weiteren Furchtbarkeiten dieser Art rechnen. Und die Ursachen liegen, meine ich, recht tief in unserer Gesellschaft.

Ich frage mich seit einiger Zeit ernsthaft, was wir der kommenden Generation eigentlich mitgeben an wirklichem Rüstzeug für das Leben. Und zwar frage ich mich das, weil es offenbar immer mehr junge Leute gibt, die die einfachsten Grundlagen der Konfliktbewältigung nicht gelernt haben. Und da wundert es mich, offen gestanden, gar nicht, dass der eine oder andere bei einem ernsthaften Problem durchdreht.

Vom wem sollten sie Konfliktbewältigung lernen?

Nein, das lernt man nicht in der Schule. Das kann man gar nicht in der Schule lernen, weil hier Konflikte nicht gelöst, sondern eher erzeugt werden. Zum Lösen bietet die Schule keinen Raum – weder zeitlich noch emotional.

Den Umgang mit schwierigen Situationen kann man meiner Meinung nach nur in einem vertrauten Umfeld lernen, in einem Umfeld, in dem man die Freiheit dazu hat, Schwächen zuzugeben und alle Waffen fallen zu lassen.

Dieses Umfeld sollte eigentlich die Familie bieten. Eigentlich.

Tatsächlich ist es eher so, dass in der Familie ebenfalls Konflikte erzeugt werden. Die Lösung der Probleme, mit denen sich viele junge Menschen heute plagen „dürfen“, wie zum Beispiel hoher Erwartungsdruck, Angst vor Versagen, Zwang, Idealbildern zu entsprechen, Mangel an Selbstannahme, zu wenig Nestwärme, schiebt einer dem anderen zu.

Flucht

Da liegt für einen jungen Menschen die Versuchung nahe, sich in Scheinwelten zu flüchten, sei es nun das Fernsehen, Computerspiele, Drogen etc – und die Techniken der Konfliktlösung, die dort gezeigt werden, sind genau die, die wir dann auch in der Wirklichkeit erleben: Gewalt, „Zeig’s ihnen“, „Du bist der Starke“ und so weiter. Man gibt sich der einfachen Logik hin, man müsse andere zu Verlierern machen, um selbst zu gewinnen. Im Film geht die Rechnung auf, im Leben nicht.

Auch auf unseren Sommerfreizeiten erleben wir immer wieder junge Leute, die offenbar nie gelernt haben, mit Konflikten umzugehen. Oder Konflikte anzugehen. Im christlichen Bereich besteht die Scheinlösung dann eher darin, auf Friede-Freude-Eierkuchen zu machen – was genau so falsch ist, weil man von da an an eine Lüge glaubt. Die Lüge, man könne das Problem wegwünschen oder wegbeten, statt es zu lösen.

Wie kann es gehen?

Ich möchte ausdrücklich nicht in das Lamento „die Medien sind schuld“ einstimmen. Das sind sie nämlich nicht. Schuld sind in meinen Augen diejenigen, die den Medien die Erziehung überlassen. Denn dafür sind sie nicht geschaffen.

Ich bin (lies diesen Satz bitte ganz) überzeugt davon, dass es einem jungen Menschen nicht besonders schadet, in Filmen und Videos gewaltsame Konfliktbewältigung zu erleben – wenn er selbst, persönlich, in einem Umfeld lebt, das von freundlichem, respektvollen Miteinander geprägt ist. Dann kann er nämlich klar zwischen Schein- und wirklicher Welt unterscheiden.

Wir müssen der heranwachsenden Generation unbedingt vermitteln, welchen unschätzbaren Wert jeder Mensch hat – und das sind zunächst einmal sie selbst. Wer seinen Wert an schulischen oder beruflichen Erfolgen festmacht, den trifft ein Scheitern in diesen Bereichen ins Mark. Wenn ich aber einen Wert habe, der davon nicht abhängt, dann habe ich eine Möglichkeit, solche Schläge wegzustecken.

Dieser Wert muss mir aber von außen, von anderen vermittelt werden, den bekomme ich nicht aus mir selbst heraus. Ich muß die Gewissheit haben, dass ich geliebt bin, unabhängig von allen anderen Umständen geliebt.

Ein Mensch, der ein Selbst-Wert-Gefühl hat (das Wort muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!), weiß, dass er seinen festen Wert hat, ganz egal, wie oft er scheitert. Und er wird mit Konflikten viel leichter umgehen können, weil er einen Anker hat, der auf einer höheren Ebene liegt und der von keinem Misserfolg zerstört werden kann.

Jesus hat genau das gemacht!

Jesus ging – so lesen wir es jedenfalls in der Bibel – auf Menschen zu, die in der Gesellschaft nichts (mehr) galten. Er vermittelt ihnen Wert, er sagt ihnen „du bedeutest mir etwas“.

Lies einmal die Geschichte von der Frau am Jakobsbrunnen, Johannes-Evangelium Kapitel 4. Diese Frau ist – im Klartext – von fünf Männern verstoßen worden, mit denen sie verheiratet gewesen war. Fünf Mal „du taugst nicht als Frau“ – das ist schwer zu verdauen. Und da kommt Jesus und spricht nett und freundlich mit ihr, ganz gegen die damalige Sitte sogar. Das war der Wendepunkt ihres Lebens.

Und das ist auch eine Herausforderung an die christliche Kirche, und damit zunächst einmal an mich selbst, der ich ihr angehöre. Wir sollten den Menschen eigentlich die Botschaft vermitteln, dass jeder Mensch in Gottes Augen so viel wert ist, dass er selbst für ihn die Todesstrafe getragen hat. Stattdessen fangen auch wir an, die Menschen in wertvolle und weniger wertvolle einzuteilen, statt, wie Jesus es machte, gerade auf die zuzugehen, die in der Gesellschaft nichts gelten.

Jeder Mensch ist unendlich viel wert – weil Gott ihn liebt.

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