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03. Jun. 2016

Astronomische Entfernungseinheiten

Neulich, im Bundestag

Der Sprecher der Opposition: „Die Finanzpolitik der Regierung wird uns eine astronomische Neuverschuldung bescheren!“

Damit meint er natürlich nicht, dass die Sternkunde die Neuverschuldung zu verantworten hat. Die Astronomie ist eben auch die Wissenschaft von gewaltigen Dimensionen; das „Astronomische“ hat sich zur allgemeinen Metapher für Unermessliches entwickelt. Manchmal überkommt auch gewiefte Astronomen ein kleiner Schwindel, wenn sie versuchen, sich die Entfernungen im Weltall vorzustellen. Es sprengt einfach alles, was unser Gefühl fassen kann.

Damit ist klar, dass man im All mit den irdischen Entfernungseinheiten, deren größte das Kilometer ist, nicht mehr zurechtkommt. Dann bekäme man vor der Einheit die berühmten „astronomischen Zahlen“, vor denen oben unser Abgeordneter gewarnt hat. Andere Einheiten müssen her, und das sind:

Entfernungen im Sonnensystem

Die Distanzen zu Himmelskörpern, die unsere Erde umkreisen, lassen sich noch bequem in Kilometern ausdrücken. Die größte Entfernung hat hier der Mond, der vom Erdmittelpunkt maximal 406 700 km entfernt ist. Das ist der zehnfache Erd-Umfang, das kann man sich noch gerade so vorstellen.

Bei der Sonne, in etwa 150 Millionen km Entfernung, wird’s schon schwieriger. Man braucht etwas Handlicheres, um nicht immer mit so großen Zahlen rechnen zu müssen.

Messlatte Erdbahn

Zu Ehren unseres Heimatplaneten nimmt man einfach die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne als Maßstab. Aber nicht nur zu Ehren, sondern auch, weil es einige Berechnungen vereinfacht, wenn der Abstand Erde – Sonne einfach Eins ist (das sehen wir weiter unten noch). Diese neue Einheit heißt Astronomische Einheit, abgekürzt AE oder international AU (astronomical unit):

1 Astronomische Einheit = 149 597 870 Kilometer

Im normalen Alltag ist die Angabe „150 Millionen km“ ausreichend genau ;-)

Entfernungen innerhalb des Sonnensystems werden fast immer in AE angegeben. Die Sonnen-Entfernungen der acht Planeten sehen dann so aus:

PlanetMerkurVenusErdeMarsJupiterSaturnUranusNeptun
Entfernung (AE)0,40,711,55,29,519,230,1

Und mit 30,1 AE lässt es sich doch viel schöner rechnen als mit 4503 Millionen Kilometer!

Entfernungen zu den Sternen

Würde man die Entfernungen zu den Sternen in AE angeben, würde man sich arg wundern. Der (soweit bekannt) nächste Stern nach der Sonne ist Proxima Centauri, und der ist schlappe 270 000 AE von uns entfernt ...

Außerhalb des Sonnensystems kommt schlicht und einfach erst einmal eine ganze Weile gar nichts. Jede Menge leerer Raum, hier und da winkt uns ein Wasserstoffatom zu. Daher ist die AE für Entfernungsangaben außerhalb unseres Sonnensystems viel zu klein. Stell dir ein Rettungsboot mitten im Pazifik vor. Den Abstand der Sitzbänke kann man bequem in Zentimetern angeben, aber für den Abstand zur nächsten Küste wäre das sinnlos.

Messlatte Licht

Douglas Adams schreibt in seinem bemerkenswerten Buch Per Anhalter durch die Galaxis, das Licht bewege sich so schnell, „dass die meisten Kulturen in der Galaxis Tausende von Jahren brauchen, um dahinterzukommen, dass es sich überhaupt bewegt“. Das ist ganz gut getroffen. Weil das Licht keine Materie braucht, um sich auszubreiten, sondern eine Schwingung von Raum und Zeit selbst ist (die Details überlassen wir den Physikern), hat es die höchste Geschwindigkeit, die in Raum und Zeit überhaupt möglich ist. Man kann sie messen, es sind knapp 300 000 Kilometer pro Sekunde.

Obwohl das Licht so schnell ist, braucht es im riesigen Weltall doch einige Zeit, um von A nach B zu kommen. Wenn man in Hamburg das Licht anmacht, braucht der Lichtschein folgende Zeiten:

zum MesspunktZeitdauer
Zimmerecke (3 m)0,00000001 Sekunden
München (600 km)0,002 Sekunden
Mond1,3 Sekunden
Sonne8 Minuten und 20 Sekunden
Neptun4 Stunden
Proxima Centauri4 Jahre und 3 Monate

Zu den Sternen ist das Licht also tatsächlich Jahre unterwegs. Und darauf gründet sich die wichtigste Entfernungseinheit der Astronomie: das Lichtjahr, abgekürzt Lj oder international ly (light years). Ein Lichtjahr ist die Strecke, die das Licht im Vakuum innerhalb eines mittleren Erdenjahres (365,26 Tage) durchläuft. Das sind knapp 10 Billionen Kilometer.

1 Lichtjahr = 9 460 895 339 246 Kilometer = 63 241 AE

Auch hier bekommen wir wieder handliche Zahlen. Proxima Centauri, oben schon erwähnt, ist 4,2 Lj von uns entfernt. Noch ein paar bekannte Sterne: Sirius, hellster Stern am Himmel, ist mit nur 8,7 Lj auch noch sehr nah, von den meisten Sternen des Großen Wagens trennen uns schon um 60 Lj, vom Polarstern 430 Lj und von der tiefrot leuchtenden Beteigeuze im Orion 800 Lj. Und der helle Deneb im Schwan, eine Ecke des „Sommerdreiecks“, gehört mit mindestens 1600 Lj zu den sehr weit entfernten unter den sichtbaren Sternen.

Diese weiten Entfernungen lassen sich leider nicht sehr genau messen (siehe nächster Abschnitt). Angaben wie die 430 Lj zum Polarstern sind nur ungefähr. Es können auch 350 oder 500 sein. Mit der Ungenauigkeit müssen wir leben, weil wir noch keine genaueren Messmethoden haben.

Es soll übrigens immer noch Leute geben (sogar Science-Fiction-Autoren), die das Lichtjahr für eine Zeiteinheit halten. Jetzt, wo Du es gelesen hast, gibt es vielleicht einen weniger ...

Exkurs: Blick in die Vergangenheit

Was das bedeutet, kann man sich leicht denken: Jeder Blick an den Himmel ist ein Blick in die Vergangenheit. Keinen Stern sieht man so, wie er jetzt ist, sondern jeden sieht man nur so, wie er war, als das Licht dort abgereist ist.

Das heißt: Es gibt keine Möglichkeit, festzustellen, ob die Beteigeuze in diesem Moment noch existiert, denn keine Information kann schneller sein als das Licht, und das braucht für die Strecke 800 Jahre. Wir wissen also nur, dass Beteigeuze vor 800 Jahren noch existiert hat. Wenn sie heute explodiert, wird das erst in 800 Jahren hier zu sehen sein.

(Wobei es auch nicht einfach ist, festzulegen, was „in diesem Moment“ einklich heißen soll. Seit Einstein wissen wir, dass Zeit nichts Absolutes ist. Es gibt nicht „die Zeit“, und damit wird auch eine echte Gleichzeitigkeit schwierig.)

Entfernungen messen

Das Lichtjahr ist eine praktische Einheit, hat aber einen Nachteil: Man kann sie nicht direkt messen. Man kann ja schlecht einen Test-Lichtblitz zu einem Stern schicken und die dortigen Bewohner bitten, den Tag, an dem sie den Blitz sehen, im Kalender rot anzustreichen. Das geht schon deshalb nicht, weil die Funksprüche für die Absprache ebenso lang unterwegs wären wie der Testblitz (den man sich dann auch sparen könnte).

Parallaxe

Es gibt verschiedene Methoden, Entfernungen von Sternen zu messen. Eine der besten ist die Parallaxenmethode. Sie geht so:

Mach einmal ein Auge zu und halt Deinen Zeigefinger 30 cm vor das andere Auge. Jetzt beweg Deinen Kopf nach rechts, nach oben, nach links, nach unten: Die Fingerspitze scheint vor dem Hintergrund zu kreisen, obwohl sie sich nicht bewegt. Diesen Effekt nennt man Parallaxe, und der Kreis, den die Fingerspitze beschreibt, ist der Parallaxenkreis. Der Parallaxenkreis ist natürlich nur eine umgekehrte Abbildung der Bewegung, die Du mit dem Kopf machst.

Wenn Du nun a) den Winkeldurchmesser des Parallaxenkreises kennst (den kann man einfach messen) und b) den Durchmesser des Kreises, den Du mit dem Kopf dabei machst, dann kannst Du mit einfacher Trigonometrie die Entfernung zwischen Auge und Fingerspitze ausrechnen.

Größere Kreise

Parallaxe Sternenparallaxe
(nicht maßstabsgetreu!)

Auf genau die selbe Methode misst man Entfernungen zu relativ nahen Sternen. Die sind aber immer noch so weit weg, dass es nicht reicht, den Kopf ein paar Zentimeter kreisen zu lassen. Man nimmt einen viel größeren Kreis dafür: die Bahn der Erde um die Sonne (genau genommen ist das kein Kreis, aber wir können es hier einmal annehmen).

Man erfasst also als erstes sehr genau die Position eines Sterns zwischen den anderen Sternen, z.B. mit einem Foto. Damit die Messung genau wird, müssen diese anderen Sterne sehr viel weiter von uns entfernt sein als der Stern, dessen Entfernung man messen will.

Nach genau einem halben Jahr misst man die Position noch einmal. Die Erde, und damit die Messapparatur, steht dann am gegenüberliegenden Punkt ihrer Bahn um die Sonne, 300 Millionen Kilometer von der ersten Messung entfernt. Der Stern scheint nun an einer etwas anderen Stelle zu stehen – wegen der Parallaxe, wie vorhin deine Fingerkuppe. Jetzt muss man nur noch den Winkel zwischen den beiden Sichtlinien (im Bild grün gezeichnet) messen, und schon kennt man die Entfernung des Sterns.

Grad, Minuten, Sekunden

Die Planeten unseres Sonnensystems haben herrlich große Parallaxen. Die Parallaxenschleife des Mars wäre 80 Grad breit, wenn er auf einem Punkt seiner Bahn mal ein halbes Jahr still stünde. Diese Parallaxe ist auch schuld daran, dass die Planeten jedes Mal so lustige Schleifen am Himmel drehen, wenn die Erde sie innen überholt.

Aber die Sterne sind so eklig weit entfernt, dass man die Parallaxe nicht mehr in Grad messen kann. Sie ist zu klein. Also unterteilt man ein Grad in 60 Bogenminuten und eine Bogenminute nochmals in 60 Bogensekunden. Eine Bogensekunde ist dann 1/3600 Grad. Und in Bogensekunden lassen sich die Parallaxenkreise der Sterne einigermaßen messen – einigermaßen, weil es immer noch Bruchteile von Sekunden sind.

RechnungWenn der Parallaxenkreis eines Sterns einen Radius von genau einer Bogensekunde hat (so einen Stern gibt es allerdings nicht, die Parallaxenkreise sind alle kleiner), dann sagt man, er ist eine Parallaxensekunde entfernt. Nur kürzt man vorher das umständliche Wort „Parallaxensekunde“ zu Parsek oder international parsec (pc) ab. Die Berechnung steht nebenan.

1 Parsek = 206 265 AE = 3,26 Lichtjahre

Das Parsek liegt also in einer Größenordnung mit dem Lichtjahr, aber es hat den Vorteil, dass man es direkt messen kann. Man misst die Winkelverschiebung und hat die Entfernung – so einfach wäre es, wenn die Parallaxenkreise nicht so winzig wären.

Für größere Entfernungen gibt’s dann das Kiloparsek (kpc) und das Megaparsek (Mpc), die logischerweise 1 000 bzw. 1 000 000 Parsek umfassen.

Die Entfernungen zu den Sternen, die wir am Himmel sehen, liegen alle in etwa zwischen 1 pc und 1 kpc. Unser Milchstraßensystem hat einen Durchmesser von etwa 30 kpc, und dann kommt, wie beim Sonnensystem, wieder eine ganze Weile nichts.

Entfernungen zu anderen Galaxien (also Milchstraßensystemen) lassen sich fast nur in Mpc sinnvoll angeben. Die nächste (!) große Galaxis ist der Andromedanebel, 2,5 Millionen Lichtjahre (800 kpc) entfernt. Aber wenn Du Dir überlegst, dass die Parallaxenkreise dann nur noch eine Millionstel Bogensekunde betragen würden, wird klar, dass diese Entfernungen unmöglich über die Parallaxenmethode zu messen sind.

Dafür gibt es andere Verfahren. Es gibt zum Beispiel einige Sorten von pulsierenden Sternen, deren Leuchtkraft man anhand ihres Farbspektrums und ihrer Lichtkurve genau ermitteln kann. Wenn man die (absolute) Leuchtkraft und die scheinbare Helligkeit miteinander vergleicht, kann man die Entfernung ungefähr ausrechnen. So hat man auch die Entfernung zum Andromedanebel gemessen.

Raumschiff Erde

Da kann einem schon schwindlig werden. Dennoch wäre es ab und zu auch für Leute, die sich nicht für Astronomie interessieren, gut, sich damit ein wenig zu beschäftigen.

Dann wird uns wieder klar, dass wir alle zusammen auf einem winzigen Raumschiff sitzen, inmitten eines gähnend leeren und lebensfeindlichen Weltraums. Universal betrachtet sind wir noch viel einsamer als das oben schon erwähnte Rettungsboot im Pazifik, und wie eine Gesellschaft von Schiffbrüchigen täten wir einklich gut daran, mit unserem Boot pfleglich umzugehen und auch miteinander einigermaßen gut auszukommen.

Das hat bis dahin gar nichts mit Religion zu tun, sondern ist eine Sache der Vernunft. Ob wir’s noch lernen?

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