Lehrreiches Spielzeug – ... und sei es als schlechtes Beispiel
Immer nur die besten Hits – Warum muß Hörfunk so langweilig sein?
Volker Gringmuth, 17. November 2008
Vor einigen Tagen traf ich bei meinem Mittagspausen-Spaziergang auf einer grasigen Anhöhe zwei Kinder an, die erfolglos damit beschäftigt waren, einen Drachen in die Luft zu bekommen. Es war nicht viel Wind da, für meinen Einleiner-Doppelschwanzdelta (warum hab ich den nie dabei, wenn ich ihn brauche?) hätte es allerdings locker gereicht. Ihr Drachen aber stieg immer nur kurz auf, drehte dann scharf nach links und fuhr kopfüber in den Boden. Immer nach links, und die Bodenkollision erfolgte nicht nur fallbeschleunigt, sondern mit Gewalt wie ein fehlgesteuerter Zweileiner. Das sah mir doch sehr nach einem Systemfehler aus.
Nun verstehe ich leider nicht viel von der Drachenbaukunst und bin auch kein ausgewiesener Experte für Aerodynamik, aber so viel, wie ein Pilot davon verstehen sollte, kann ich mir wohl denken. Nach ein paar Minuten Zusehen ging ich also hin, ließ mir das Ding geben und schaute es mir einmal an. Es stellte einen Greifvogel mit räumlichem Rumpf und Folienflügeln dar und hatte in meinen Augen gleich zwei nicht unbedeutende Schwächen:
So war es kein Wunder, daß er mit so vielen Freiheitsgraden schon bei kleiner Fehltrimmung sofort zur Seite zog. Da reicht es schon, wenn die Flügel geringfügig gegeneinander verdreht sind.
An einem freien Tag hätte ich bestimmt noch länger mit den zwei jungen Drachenpiloten die Gesetze der Aerodynamik erforscht, aber so blieb mir nur übrig, ihnen zu raten, einen Meter Schwanz anzubinden, damit der Wind dem Drachen zumindest sagen kann, wo hinten ist. Sie schauten mich etwas ungläubig an und schienen nicht so ganz von der Kompetenz dieses fremden Typen, der sich da in ihr Spiel einmischte, überzeugt zu sein ...
Ich mußte dann wieder an meinen geliebten Schreibtisch. Schade. Aber vielleicht haben sie meine Tips mal ausprobiert. Dann haben sie was lernen können – zumindest das eine, daß sich alles noch verbessern läßt.
Volker Gringmuth, 10. November 2008
19. Oktober, abends noch geschäftlich unterwegs nach München, da kann man ja fast nur Bayern 3 hören. Es kommt eine Meldung über Supertramp, und was wird anschließend gespielt? Ich ahnte es schon zehn Sekunden vor dem Intro: The Logical Song natürlich, was anderes haben die Jungs ja kaum gemacht; weiß der Geier, wie sie den Rest ihrer erfolgreichen elf Alben praktisch nur mit It’s Raining Again und Breakfast in America gefüllt haben, ohne daß einer was gemerkt hat.
Immer wieder erstaunlich, wie gut es die heute üblichen Schmalspur-Radioprogramme (der Fachausdruck dafür lautet formatiertes Programm) schaffen, das Wirken von Künstlern auf ein einziges ihrer Werke zu reduzieren. Daran erkennt man einen fähigen Musikredukteur (das u ist kein Tippfehler). Erst paßt er sich dem Horizont seiner Hörer an, engt ihn damit noch weiter ein, und dann begründet er das damit, daß die Leute ja nichts anderes hören wollen.
Nein, ich bin jetzt ungerecht. Der Gestalter der Sendung kann nämlich nichts dafür, das Problem fängt schon weiter vorn an: Schon längst werden beim Sender keine CDs mehr abspielt, sondern ein zentraler Musikserver, zum Bersten gefüllt mit MP3-Dateien, bedient per Netzwerk alle angeschlossenen Studios. Da ist natürlich nicht mal von Sting oder Paul Simon das Gesamtwerk drauf, sondern nur das, was halt gebraucht wird. Mit anderen Worten: das, was alle sowieso schon kennen.
Als frühmorgens am 10. November Deutschlandradio Kultur – ein vielseitiges, gut anhörbares Programm, von dem ich mich hier zum Glück wecken lassen kann – den Tod von Miriam Makeba meldete, war bedauerlicherweise mein einziger Gedanke dazu: „Oh nein, heute werden sie uns mit Pata Pata nur so überschwemmen!“ Bälder als gedacht: kurz vor sieben im Auto schalte ich SWR1 ein, um die Nachrichten zu hören ... zwei Takte genügten. So schnell war ich selten zum zweiten Mal auf dem Ein-Aus-Knopf. Wobei das Lied ja gar nicht schlecht ist; was mich daran nervte, war ja nicht das Liedl an sich, sondern ... sagt mal, ihr Musikreduktionen: was soll das?
Bin ich da wirklich so exotisch? Von einem guten Radioprogramm – und gerade einem öffentlich-rechtlichen, das es nicht nötig hat, sich anzubiedern! – erwarte ich Überraschungen, Frisches, Seltengehörtes, Raritäten – Musik, die zwar weniger bekannt, aber deshalb nicht weniger hörenswert ist, also im großen und ganzen eine Erweiterung meines Horizontes, auch in kultureller Hinsicht – und nicht den dreitausendsten Aufguß eines Teebeutels, auch wenn der Tee mal sehr gut schmeckte. Wie Another Day in Paradise klingt, wissen wir mittlerweile. Alle.
DR-Kultur hat übrigens nach der Meldung nicht „Pata Pata“, sondern ein anderes Lied von Miriam gespielt, das ich nicht kannte. Das will zwar nichts heißen, aber: na bitte, es geht doch!
PS: Als ich diese Meldung schrieb, kannte Google das Wort Musikredukteur noch nicht. Ich beantrage hiermit ein Copyright ☺
Bild und Text © Volker Gringmuth
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